Der „Lagerungsschwindel“ – mit vollem deutschen Namen „Gutartiger, anfallsartiger Lagerungsschwindel“ und mit vollem medizinischen Namen „Benigner, paroxysmaler Lagerungsschwindel“ (BPL) – ist der häufigste Schwindel und zugleich der harmloseste. Bereits an anderer Stelle habe ich über den Lagerungsschwindel einen kleinen Aufsatz veröffentlicht. Dennoch sind sicher bei vielen Patienten einige Fragen offen geblieben, wie ich aus gelegentlichen E-Mail-Anfragen weiß.
Frage:
Wie erklären Sie sich die Ablösung der Kristalle aus der Flüssigkeit? Können die folgenden Faktoren die Kristalle ablösen und zu einem Lagerungsschwindel führen?
– Orthostase-Syndrom
– Nahrungsmittelunverträglichkeit
– HWS-Probleme
– Kiefergelenksarthrose
Kann ich etwas vorbeugend beachten?
Antwort:
Die Ursache („Ätiologie“) ist nicht bekannt – vielleicht gibt es auch mehrere. Die Entstehung der Beschwerden und Symptome („Pathogenese“) ist hingegen schon bekannt – aber über die Pathogenese haben Sie wahrscheinlich hier schon gelesen.
Man diskutiert, dass der Flüssigkeitsverlust im Gelpolster – und damit dessen langsam nachlassende „Klebewirkung“ – dafür verantwortlich ist, dass die kleinen Kristalle („Otolithe“) auf dem Gelpolster lockerer werden und leichter versprengt werden können. Allerdings können auch junge Leute einen Lagerungsschwindel bekommen – und bei jungen Patienten müsste das Gelpolster eigentlich noch völlig „unverbraucht“ und funktionsfähig sein.
Oftmals spielen auch mechanische Erschütterungen des Kopfes eine Rolle. Ein Freund von mir ist mit dem Fahrrad über eine Schotterstrecke gefahren. Anschließend hatte er einen Lagerungsschwindel.
Es muss als Bedingung auch noch eine Kopfbewegung hinzukommen – im Prinzip ein rückwärts laufendes Befreiungsmanöver. Bei einem unbewegten Kopf würden selbst locker sitzende Otolithe an Ort und Stelle verbleiben. – Eigentlich ist ein Befreiungsmanöver eine rückwärts laufende „schwindelauslösende Bewegung“.
Mit Orthostase hat der Lagerungsschwindel nichts zu tun. Der Lagerungsschwindel tritt nur auf, wenn der Kopf um die Achse des betroffenen Bogenganges gedreht wird. Bei der Orthostase „versackt“ venöses Blut in den Beinen. Wenn ein Orthostasepatient von einem Stuhl aufsteht, kommt für einige Sekunden zu wenig Blut im Gehirn an. Beim Aufstehen vom Stuhl wird der Kopf aber nicht gedreht, sondern lediglich nach oben verschoben. Das ist keine „Lagerung“ und kann deshalb keinen Lagerungsschwindel auslösen.
Auch eine Nahrungsmittelunverträglichkeit hat mit einem Lagerungsschwindel nichts zu tun. Bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten kann es zu Kreislaufreaktionen kommen, die natürlich auch mit einem Schwindel einhergehen können.
HWS-Probleme können jedes Krankheitsbild im HNO-Bereich „imitieren“ – aber nicht ursächlich hervorrufen. Man kann sich schwindelig fühlen – bei einer Untersuchung fehlen dann aber die charakteristischen Augenzitterbewegungen („Nystagmen“). Und auch Kiefergelenkserkrankungen können HNO-Beschwerden imitieren – möglicherweise auch über reaktive Verspannungen im HWS-Bereich.
Schwindelformen, die in den Gleichgewichtsorganen, hauptsächlich in den Bogengängen, entstehen, nennt man „systematisch“. Systematische Schwindelformen sind Dreh-, Schwank- oder Liftschwindel. Drehschwindel tritt bei Störungen in den Bogengängen auf, Schwank- oder Liftschwindel bei Störungen in den „Otolithenapparaten“ („Sacculus“ und „Utriculus“). Beim Lagerungsschwindel handelt es sich um eine Störung in einem Bogengang, obwohl die Verursacher (die Otolithe) aus dem Otolithenapparat kommen. Lagerungsschwindel ist also ein Drehschwindel.
Alle anderen Schwindelformen sind „nicht-systematisch“. Diese Schwindel werden als „Unsicherheitsgefühl“ wahrgenommen, als Gefühl, man stünde „neben sich“ bis hin zu „Sternchensehen“ oder „Schwarzwerden vor den Augen“. Im Extremfall kann dann auch eine Ohnmacht auftreten. Das Orthostase-Syndrom ist ein typischer Vertreter für einen nicht-systematischen Schwindel: Es wird einem schwarz vor Augen und man kann auch bewusstlos werden.
Vorbeugende Maßnahmen zur Vermeidung von Lagerungsschwindel sind mir nicht bekannt. Außer, dass man vielleicht Kopferschütterungen vermeiden soll.
Frage:
Ist es sinnvoll – auch wenn man aktuell nicht unter einem Lagerungsschwindel leidet – die Befreiungsmanöver jeden Abend vorbeugend zu machen?
Antwort:
Ein vorbeugendes Befreiungsmanöver wird wohl nicht helfen. Es ist ja eine Bewegungsabfolge, die versprengte Otolithe wieder dorthin zurückmanövriert, wo sie hergekommen sind. Wenn es keine versprengten Otolithe gibt, kann man auch keine zurück befördern. Eine vorbeugende Wirkung haben die Befreiungsmanöver nicht (man kann ja auch nicht vorbeugend schon mal sein Fahrrad flicken …)
Frage:
Passt es zum Lagerungsschwindel, dass ich ihn bei jeder Drehung im Bett bekomme?
Antwort:
Wenn man einen Lagerungsschwindel hat in dem Sinne, dass die kleinen Steinchen („Otolithe“) in einen Bogengang – am häufigsten in einen der beiden hinteren vertikalen Bogengänge – gefallen sind, dann hat man Schwindel, wenn man den Kopf ganz oder teilweise um die Achse des betroffenen Bogenganges dreht.
Wenn man den Kopf von oben anschaut (Nase nach vorn zum Untersucher), dann stehen die vertikalen Ebenen um 45° verdreht im Kopf, wie 90°-Winkel (Spitze innen, Winkelöffnung außen).
Wenn der HNO-Arzt die betroffene Seite lokalisieren will, dann muss die Patientin den Kopf um 45° zur Seite drehen. Angenommen, die rechte Seite wäre betroffen, dann würden bei einer 45°-Rechtsdrehung Drehebene und Ebene des hinteren vertikalen Bogenganges zu 100 % übereinstimmen: Der so ausgelöste Schwindel ist dann maximal. Dafür stimmen Dreh- und Bogengangsebene der nicht betroffenen Seite überhaupt nicht – also zu 0 % – überein. Löst eine 45°-Rechtsdrehung beim Hinlegen den Schwindel aus, ist also die rechte Seite betroffen. Löst eine 45°-Linksdrehung beim Hinlegen den Schwindel aus, ist die linke Seite betroffen.
Wenn man den Kopf nun gar nicht verdreht und sich einfach ganz normal nach hinten legt, dann stimmen Dreh- und Bogengangsebene nicht mehr zu 100 % überein, sondern nur noch zu etwa 70 %: Das liegt daran, dass der Cosinus von 45° etwa 0,7 ist. Das trifft dann aber auf beide Seiten zu! Also: Egal, welche Seite betroffen ist, bei einem normalen Hinlegen ohne Kopfdrehung werden immer beide hintere vertikale Bogengänge zu etwa 70 % um ihre Achsen gedreht und es wird deshalb immer Schwindel ausgelöst, entweder von der rechten oder von der linken Seite (deshalb ist das „Schwindelprovozieren“ ohne Kopfdrehung für die Seitenlokalisation als Diagnostikum ungeeignet).
Aber: Auch, wenn man im Liegen den Kopf zur Seite dreht – und das gilt auch hier für beide Seiten! – stimmen Dreh- und Bogengangsebene zu etwa 70 % überein (auch der Sinus von 45° ist etwa 0,7).
Also: Bei einem gutartigen, anfallsweise auftretenden Lagerungsschwindel führen Hinlegen und Aufrichten sowie Rechts- und Linksdrehung in Rückenlage zum Schwindel. Es müssen auch immer beide Drehrichtungen betroffen sein: Wenn man nur beim Aufrichten, aber nie beim Hinlegen Schwindel bekommt, lässt sich das durch die versprengten Otolithe nicht erklären. Otolithe sinken immer nach unten und wenn man „unten“ und „oben“ vertauscht, müssen sie wieder zurückfallen. Wenn man nicht in beiden Richtungen Schwindel bekommt, dann ist die Diagnose „gutartiger, anfallsweise auftretender Lagerungsschwindel“ vom Tisch!