Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPL)

Otolithe im Gelkissen

Beim benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel handelt es sich um einen Anfallsschwindel, der besonders bei schnellen Lagewechseln auftritt. Die Ursache liegt im Gleichgewichtsorgan tief im Schädelinneren. Dort befinden sich die flüssigkeitsgefüllten Bogengänge, die jede Kopfdrehung registrieren. Neben den Bogengängen, die die Kopfdrehungen messen, gibt es noch zwei kleine zentrale Blasen („Sacculus“ und „Utriculus“) im Gleichgewichtsorgan, in der die Erdanziehungskraft gemessen wird. Hierzu benötigt das Gleichgewichtsorgan kleine „Gewichte“ (Steinchen, Kristalle, „Otolithe“: Weil diese stets nach unten fallen, „weiß“ das Gleichgewichtsorgan, wo unten ist!). Gelangen nun einige dieser Otolithe in einen Bogengang, dann entsteht ein BPL. Bei der Kopfdrehung um die Achse des betroffenen Bogenganges fallen die Otolithe im sich drehenden Bogengang ständig nach unten, bis sie an der tiefsten Stelle liegen bleiben. Während des Fallens treiben sie die Bogengangsflüssigkeit zusätzlich an, so dass das Gehirn einen völlig falschen – viel zu starken! – Eindruck von der Schnelligkeit der Kopfdrehung bekommt! Da die Otolithe meistens nur in einem der beiden Gleichgewichtsorgane Unruhe stiften, ist das Gehirn ziemlich verwirrt, wenn es für eine einzige Bewegung zwei sich widersprechende Messwerte erhält!

Wieso gelangen die Otolithe überhaupt in einen Bogengang?

Linkes Labyrinth. Der hintere vertikale Bogengang ist rechts im Bild und steht tiefer.

Erste Voraussetzung ist, dass sich die Otolithe mechanisch aus dem Gelkissen lösen. Bei einem trockenen Gelkissen passiert das leichter! Zweitens muss der Kopf außerdem eine bestimmte Bewegungsfolge durchführen, damit die Steinchen im Bogengang landen. Meistens ist der hintere vertikale Bogengang betroffen, weil er etwas tiefer liegt als die anderen beiden!

Man kann den Schwindelspuk vertreiben, wenn man diese Bewegung rückwärts laufen lässt! Sie kennen das Geduldsspiel mit der Maus und der Falle? Mit einem bestimmten Bewegungsablauf führen Sie die Maus in die Falle. Wird dieser Bewegungsablauf in umgekehrter Richtung durchgeführt, dann kommt die Maus aus der Falle wieder heraus.

Bei den Otolithen ist es ähnlich! Mit Hilfe ganz spezieller Bewegungsabläufe (sogenannter „Befreiungsmanöver“) gelingt es oftmals, die Otolithe aus dem Bogengang wieder zurückzuführen in die zentralen Blasen des Gleichgewichtsorgans – dort, wo sie hingehören. Diese Bewegungsabläufe werden auf einer Liege durchgeführt. Sie heißen „Epley-Manöver“ (benannt nach seinem „Erfinder“ Dr. Epley aus USA) und „Semont-Manöver“ (benannt nach seinem „Erfinder“ Dr. Semont aus Frankreich). Beide Verfahren sind gleichwertig. Beide Verfahren erfordern eine Kopfdrehung um 45° zur betroffenen Seite bei der Durchführung.

Voraussetzung für die Durchführung des Epley- oder Semontmanövers ist, dass man die betroffene Seite kennt! Und dazu wiederum bedient man sich der sogenannten „Dix-Hallpike-Lagerung“. Bei einem BPL findet man nämlich bei der Lagerung des Oberkörpers nach hinten, wobei der Kopf 45° schräg nach rechts oder links (zur betroffenen Seite!) bis zu 20° Hängelage erreicht („Dix-Hallpike-Lagerung“), eine vorübergehende charakteristische Augenzitterbewegung mit rotatorischer Komponente, die die Patienten nicht unterdrücken können.

Ist jedoch trotz Dix-Hallpike-Lagerung – zum Beispiel bei einem schon etwas länger dauernden Schwindelgeschehens – nicht sicher zu erkennen, welche Seite betroffen ist, dann kann man auf die Kopfdrehung nach schräg rechts oder links verzichten und den Kopf statt dessen gerade halten. Die Wirksamkeit der Behandlung ist dann zwar um etwa 30 % abgeschwächt, aber immer noch vorhanden! (Der Wirkungsverlust hängt damit zusammen, dass der Cosinus von 45° etwa 0,7 entsprechend etwa 70 % beträgt und der Wirkungsverlust dementsprechend etwa 30 %. Diese Mathematik müssen Sie sich aber nicht merken!). Das Befreiungsmanöver ohne Kopfdrehung ist also unspezifisch und für beide Seiten durchführbar, allerdings mit abgeschwächter Wirksamkeit. Es heißt „Brand-Daroff-Manöver“.

Epley-, Semont- und Brand-Daroff-Manöver sind harmlos, können aber während der Übung zu Schwindel führen. Bei starkem Schwindel können Sie vor dem Befreiungsmanöver eine Beruhigungstablette erhalten. Nach einer Beruhigungstablette sind Sie nicht mehr verkehrstüchtig; sie müssen sich dann abholen lassen oder mit dem Taxi nach Haus fahren. Anhand von Übungsbögen kann man ein Semont-Manöver auch in Eigenregie zu Hause durchführen. Manchmal gibt es neben dem eigentlichen Lagerungsschwindel noch länger anhaltende Unsicherheitsgefühle im Sinne von  „Nachhall-Effekten“. Diese Nachhall-Effekte kann man gut medikamentös behandeln.

Wenn Sie unter hohem Blutdruck leiden, schon mal eine Netzhautablösung des Auges hatten oder Probleme mit der Wirbelsäule (insbesondere der Halswirbelsäule) haben, dann sollten die Befreiungsmanöver nicht oder nur mit großer Vorsicht durchgeführt werden!