Über den Tellerrand

An der Uni München wurde ein Vortragsabend über Homöopathie („über den Tellerrand“) für Studierende abgesagt.
In der daraufhin entbrannten Diskussion gab es folgenden, höchst lesenswerten, wenn auch langen Kommentar:

Ein Gastbeitrag von Ulli Maas

Anmerkungen zur Veranstaltung „Homöopathie in der Tiermedizin“

Beginnen will ich meine Anmerkungen mit dem Hinweis, dass jenseits der ideologisch fixierten Interessensgruppen kein Zweifel darüber besteht, dass das Pseudo-Heilverfahren „Homöopathie“ keinem wissenschaftlichen Anspruch gerecht wird, und auch in Zukunft einem solchen niemals gerecht werden kann – es sei denn, wesentliche Teile unserer Naturgesetze wären grob fehlerhaft. Grob fehlerhaft: also kaum zu übersehen, offensichtlich, und nicht nur im Zusammenhang mit der Homöopathie feststellbar.

Genauso wenig besteht Zweifel daran, dass die Homöopathie – jede konsequent betriebene wissenschaftliche Analyse führt zu gleichen Ergebnissen – eine Fiktion ist.

Ein soziales Konstrukt, das letztlich auf wenigen, mit viel Phantasie und – an heutigem Maßstäben gemessen – mit sehr wenig Fachkenntnis zusammenkonstruierten Grundannahmen beruht, die weder systematisch validiert, noch jemals prinzipiell infrage gestellt wurden.

Nichts, was Homöopathen als Aspekte ihrer Therapie offerieren,

– die homöopathische Ätiologie und Pathogenese;
– die homöopathische Anamnese;
– die homöopathische Arzneiverordnung nach dem Simile-Prinzip;
– die homöopathische Arzneimittelprüfung;
– die Gewinnung homöopathischer Arzneien mittels Dynamisierung durch Potenzierung;

ist tatsächlich mehr, als das Ergebnis eines, wie der große Psychologe Bleuler es nannte, „autistisch-undisziplinierten Denkaktes“, und der auf dieser Basis entwickelten, völlig sinnfreien Ritualen, die nur als Rituale Bedeutung haben.

Die heute von den Proponenten des Verfahrens immer wieder in den Diskurs eingebrachten, angeblich missachteten „überzeugenden“ Beweise, die homöopathische Studien erbracht haben sollen, spiegeln ein bedrückendes Kapitel der Forschungsgeschichte wider, weil – meines Wissens zum ersten Mal in dieser Radikalität und derart konsequent – wissenschaftliche Unredlichkeit zum allgemeinen Arbeitsprinzip erhoben wurde.

Denn jede unvoreingenommene Sichtung der homöopathischen Studienlandschaft mittels Meta-Analysen zeigt, dass „erfolgreiche“ homöopathische Studien einer von drei Kategorien zuzuordnen sind:

Entweder sind sie statistische Artefakte, also banale nicht reproduzierbare Zufallsergebnisse, oder sie basieren auf mehr oder weniger geschickten Datenmanipulationen, oder sie enthalten methodische Fehler, die vielleicht nicht sofort sichtbar sind.

Die manchmal nicht ganz einfache Aufgabe besteht nur darin, nach Fehlern im Studiendesign, in der Datenauswertung, in der Interpretation (oder in allem gleichzeitig) zu suchen, im schlimmsten Fall aber auch bewusste Datenmanipulation nachzuweisen.

Kein Anlass ist jedoch gegeben, diese Fehlerhaftigkeit nicht anzunehmen, denn bisher hat sich jede „erfolgreiche“ homöopathische Studie als in irgendeiner Art fehlerhaft erwiesen.
Das Fazit ist eindeutig: Das Grundkonzept der Homöopathie basiert nicht auf Faktischem, sondern auf Fiktion.

Hieraus ergeben sich weitere Feststellungen:

– Die Anwender der Homöopathie ignorieren die Faktenlage

Die sogenannte „Qualifikation“ homöopathischer Behandler besteht ausschließlich darin, die mittels eines völlig abstrusen Verfahrens – der homöopathischen Arzneimittelprüfung – angeblich gewonnenen Arzneimittelbilder zu erlernen, und anhand weitestgehend willkürlich ausgewählter „Symptome“, die der Patient in der homöopathischen Anamnese äußert, eine homöopathische „Arznei“ zu verordnen.

Dabei liegt weder eine Evidenz für die sogenannten Arzneimittelbilder vor, noch ist die Aussagekraft der Anamnese nach gemeinhin geltenden ätiologischen Kriterien validiert.

Das Einzige, was den „erfahrenen“ Homöopathen auszeichnet, ist die meist langjährige Übung darin, selbst offensichtliche Selbst- und Fremdtäuschungen hinsichtlich der therapeutischen Wirksamkeit homöopathischer Arzneien genauso zu ignorieren, wie eben auch die negativen Ergebnisse der Studienlage zu Homöopathie. Gerade was den letzten Punkt angeht, ist es bezeichnend, dass selbst eindeutige Ergebnisse entsprechender Explorationen nicht den geringsten Einfluss auf die homöopathische Verordnungs- und Empfehlungspraxis haben. Exemplarisch hierfür sei Walachs „Münchener Kopfschmerzstudie“ genannt.

– Der Informationsbedarf zur Homöopathie

Es sei unbestritten, dass ein Bedarf an Informationen zur Homöopathie besteht.

Allerdings dürfen diese, zumindest an einer Hochschule, nur in einem kritischen Kontext erfolgen, der die Homöopathie zum einen als historisches Musterbeispiel für die vielfältigen kognitiven Fehlleistungen würdigt, die zu falschen Bewertungen von Therapieverfahren führen, zum anderen aber auch aufzeigt, was Denken in Analogien, Mythen und Legenden unter explizitem Verzicht auf Kausalanalysen bedeutet, und zu welchen Ergebnissen es führt.

Ob aber die geplante Art der Präsentation der Homöopathie unter dem Motto „Über den Tellerand“ genau diese Kriterien erfüllt hätte, daran dürfen berechtigte Zweifel angemeldet werden. Zeigen doch die Erfahrungen mit dem Term, dass es unter dieser Firmierung üblicherweise darum geht, den insuffizienten ätiologischen Vorstellungen des Gründervaters der Homöopathie, nebst seinem Behauptungskatalog mit dem Wissenstand des Mittelalters, einen Platz im Kanon der modernen Medizin zu verschaffen.

Weiterhin zeigt die Erfahrung, dass solche Veranstaltungen üblicherweise nicht Orte der Auseinandersetzungen sind, sondern vielmehr der szene-internen Selbstbestätigung dienen. Anders ausgedrückt: homöopathische Lectures werden von Homöopathen besucht, die nichts mehr wollen, als Bestätigungen ihrer Überzeugungen, und nichts weniger, als die kritische Auseinandersetzung.

Ergänzend dazu seien tiefe Zweifel am Sinn einer Veranstaltung formuliert, die medizinische Azubis mit Therapien konfrontiert, denen jede wissenschaftliche Begründung fehlt – und das, bevor der medizinische Nachwuchs in der Lage ist, die ihm vorgelegten (Pseudo-)Evidenzen sachkundig zu beurteilen. Wem sollte damit eigentlich geholfen sein, dass Studenten der Medizin eine Therapie präsentiert wird, für die die widerspruchslose Hinnahme des Unwissenschaftlichen in alltäglichen Urteilen und die Gleichgültigkeit gegenüber Täuschung und Unwahrheit systemimmanent ist?

– Pseudo- und Parawissenschaft im akademischen Umfeld

Es ist eine ziemlich ekelhafte Strategie der Vertreter von Weltsichten jenseits des Verstandes, sich zwar gegen die universitäre Lehre zu wenden, aber das akademische Umfeld zum Zweck einer vorgegaukelten Seriosität zu suchen.

Nun hat aber eine Universität im Wesentlichen nur eine einzige Aufgabe, nämlich die Welt zu erhellen. Das bedeutet, darüber sind wir uns in unserem Kulturkreis wohl einig, Wissensgewinn mittels wissenschaftlicher Kriterien zu betreiben, und, speziell in der Lehre, genau die wissenschaftliche Methodik zu vermitteln, mit der seriöser Erkenntnisgewinn gewährleistet oder zumindest möglich ist.
Wissenschaftliches Denken ist die korrigierende Kraft gegenüber einer völlig undisziplinierten Gedankenwelt.

Wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn ist die konkrete Verwendung von Werkzeugen, technischen und geistigen, mit dem wesentlichen Zweck, aus der enormen Zahl von Meinungen, die man so haben kann, die richtige herauszufinden – und den Rest als Irrtum zu entsorgen.

Bei der Bewertung solcher Veranstaltung kann es also nur darum gehen, ob hier sichergestellt ist, dass Studenten der Medizin entweder tragfähiges, satisfaktionsfähiges Wissen präsentiert wird, oder, als ebenfalls denkbare Alternative, Unwissenheit und Fehlinformation – das allerdings mit dem ausdrücklichen Ziel, die Fähigkeit der Unterscheidung in „wahr“ oder „falsch“ zu fördern und zu erhalten.

– Über den Tellerrand oder Ab auf den großen Holzpfad

Warum finden wir in den Vorlesungsverzeichnissen und Prüfungsordnungen diverser Studienfächer, beispielweise in der Chemie, nicht so etwas wie „Herstellung des Steins der Weisen sowie diverser Edelmetall mittels Transmutation“, oder im Studium der Meteorologie, „Wetterbeeinflussung durch schamanistische Rituale: Regentänze und andere Beschwörungen“?

Warum brauchen Juristen keine Kenntnisse in „Prozessuale Beweisführung und Methoden der Wahrheitsfindung nach Institoris“ und Architekten müssen ihre Zeit nicht in Seminaren vertrödeln, in denen sie über die „Konstruktion von häuslichen Wasserkreisläufen nach Maurits Escher“ informiert werden.

Warum ist es nicht Pflicht für angehende Maschinenbauingenieure, sich mit der „Entwicklung und Einsatzmöglichkeiten eines Perpetuum mobile“ vertraut zu machen?

Warum müssen sich angehende Tierärzte nicht mit „Anatomie, Physiologie und Pathologie von Drachen, Einhörner und anderen magischen Geschöpfen“ beschäftigen und sich genauso wenig Gedanken über die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Humanmedizinern bei „Krankheiten von Sphinxen, Nixen, Zentauren und anderen Zwitterwesen“ machen?

Weil ein berechtigter Einwand lautet, dass es lächerlich wäre und jeder, der so etwas fordern würde, mit berechtigten Fragen nach seinem Geisteszustand zu rechnen hätte.

Was soll also, ich frage es ein weiteres Mal, eine Veranstaltung, die sich mit einem Verfahren auf dem Niveau der gerade genannten Absurditäten beschäftigt?

„Über den Tellerrand“ schauen, bedeutet im Hinblick auf die Homöopathie, sich mit einem Verfahren zu beschäftigen,

– dessen theoretische Grundlagen mit den täglich sich auf allen Ebenen beweisenden Naturgesetzen nicht in Übereinstimmung bringen lassen;

– für das man, um diese Verfahren überhaupt ernst nehmen zu können, nicht nur sämtliches schon erworbenes pharmakologisches Wissen über taugliche therapeutische Konzepte, z.B. über antivirale, antibiotische, antimykotische Wirkstoffe oder Antiparasitika, sondern auch das Wissen über Anatomie, Physiologie und Pathologie verleugnen müssen;

– bei dem jeder ernsthafte Versuche, die theoretischen Grundlagen der Verfahren zu belegen – zwangsläufig – ein negatives Ergebnis produzierte, oder, bei einem positiven Ergebnis, einen Wissenschaftsskandal;

– dessen Säulen allein auf dem schwachen Fundament einer unzulässigen Schlussfolgerung stehen, nämlich dem der Legende nach mit dem Chinarinden-Versuch (fälschlicherweise) belegten Simile-Prinzip;

– bei dem angebliche Arzneimittel hergestellt und verabreicht werden, aus denen der Arzneistoff konsequent entfernt wurde, diese deshalb von anderen, gleichartig hergestellten Mitteln nur noch durch das Etikett auf der Arzneiflasche unterschieden werden können und für die letztlich gilt: Es ist nicht drin, was drauf steht!

– bei dem bei der Formulierung der speziellen pharmakologischen Verarbeitungsvorschriften wesentliche physikalische und chemische Erkenntnisse nicht beachtet wurden, was dazu führt, dass ein erheblicher Teil der Arzneien (besonders die Hochpotenzen) in der im Homöopathischen Arzneimittelbuch beschrieben Form nicht herstellbar sind, so dass hier ein weiteres Mal gilt: Es ist nicht drin, was drauf steht!

– dessen umfangreiches Testungen mittlerweile kaum noch einen begründeten Zweifel an der Tatsache zulassen, dass es sich bei den Arzneien um mit enormem Aufwand hergestellte Placebos handelt.

Warum also sind diese Quacksalbereien, dieser offensichtliche Unsinn, die

se intellektuellen Zumutungen es wert, mal „Über den Tellerrand“ zu schauen?

Ich fasse die vielen Worte zusammen:
Veterinärmediziner sind in Sachen Homöopathie nur über einen Sachverhalt zu informieren. Und zwar darüber, dass die Anwendung des Verfahrens im günstigsten Fall nur Abzocke des Tierhalters darstellt, im schlimmsten Fall aber Tierquälerei.

https://m.facebook.com/story.php?story_fbid=1698014336948023&id=287582394657898

Posted in: