Unser Ohr muss nun die beiden Eigenschaften Frequenz und Amplitude (also Tonhöhe und Lautstärke) dem Gehirn übermitteln. Das Gehirn kann aber keinen Schall „verstehen“ – es kann nur Elektrizität „verstehen“. Das Ohr ist also „Übersetzer“ und übersetzt Schall in Elektrizität.
Schall ist ja eine mechanische Form von Energie und Elektrizität ist eine elektrische Form von Energie. Das
Ohr macht nun im Prinzip nichts anderes, als ein kleines Kraftwerk auch: es erzeugt einen Strom. Dieser Strom entsteht in den Sinneszellen im Ohr. Und dieser Strom kann durch die Hörbahn zum Gehirn gelangen.
Bei diesem Vorgang spielt sich aber noch etwas anderes ab: die Sinneszellen funktionieren wie kleine Tonabnehmer beim Plattenspieler: auch diese Tonabnehmer wandeln ja Bewegungsenergie in elektrische Energie um. Wir alle wissen aber, dass man davon allein noch nicht hören kann. Wir brauchen auch einen Verstärker. Der Verstärker benötigt zum Verstärken wiederum Energie. Dazu hat der Verstärker ein Stromkabel mit Stecker und Netzanschluss.
Unsere Sinneszellen im Ohr müssen auch die Schallenergie verstärken. Und deswegen haben sie Anschluss an das Blutgefäß-System!
Im Blut befinden sich Nährstoffe, die in den Sinneszellen gewissermaßen verbrannt werden. Dazu benötigt man Sauerstoff. Der Sauerstoff ist auch im Blut. Spaßeshalber könnte man sagen, die Blutbahn ist gleichzeitig gelbe und blaue Schlauchleitung eines „körpereigenen Schweißapparates“. (Zum Glück ist es nicht explosiv!) Und in den Sinneszellen (in allen Zellen) müssen komplizierte Substanzen dafür sorgen, dass die Verbrennung gebremst wird: wir wollen ja nicht wie bei einem entflammenden Streichholz eine kurze, heiße Stichflamme im Körper, sondern 24 Stunden am Tag immer nur 37 Grad! Und wenn irgendein Glied in dieser komplizierten Kette nicht richtig funktioniert, dann ist die Funktion des gesamten Ohres gestört! Dann kann man nicht mehr richtig hören. Und manchmal hört man dann eben auch Geräusche.
Ich möchte bei Ihnen nicht nur Verständnis, sondern auch Bewunderung wecken für das Ohr und seine komplizierte Funktion!
Im Ohr befinden sich ja viele Tausend Sinneszellen, die alle so klein sind, dass man sie nur mit einem Mikroskop sehen kann. In diesen Sinneszellen wird aus dem Schall ein elektrischer Nervenimpuls erzeugt, der zusammen mit den Impulsen der anderen Sinneszellen unsere Hörwahrnehmung ergibt. Dazu müssen elektrische Ströme aus elektrisch aufgeladenen Atomen und Molekülen bis zu 5000 Mal in einer Sekunde ein und wieder ausgeschaltet werden – auf engstem Raum! Und die kleinen „Kraftwerke“ für die Umwandlung der Nährstoffe in Elektrizität befinden sich ebenfalls noch zusätzlich in jeder Zelle. Bei solch kompliziertem Aufbau können schon ganz kleine Störungen sehr unangenehme Folgen haben.
Damit das Gehirn auch erfährt, was die Ohren hören, gibt es einen Verbindungsweg zwischen ihnen. Das ist nun keineswegs ein einfaches Kabel! Es ist ein eigenständiges informationsverarbeitendes System – ein kleiner Computer! Dieser Verbindungs“computer“ zwischen Ohr und Gehirn heißt „Hörbahn“. Die Hörbahn sorgt für eine automatische und unbewusste Informationsverarbeitung. Schall und akustische Informationen müssen nicht immer nur bewusst wahrgenommen werden – mitunter helfen akustische Informationen bei der unbewussten Steuerung automatischer Körperfunktionen mit! So wird durch Lärm zum Beispiel die Aufmerksamkeit erhöht oder auch Angst ausgelöst. Es ist in der Natur eben wichtig, dass Lebewesen – also auch der Mensch – schon auf leise Geräusche, wie zum Beispiel leichtes Zischeln, reagieren: schließlich könnte es sich ja um eine Schlange handeln! Erst wenn sich herausgestellt hat, dass die Ursache harmlos war, lassen Angst und Aufmerksamkeit nach. Bei unbekannten Geräuschen sind Angst und Aufmerksamkeit lebenswichtig! Die Natur verlässt sich nicht darauf, dass der Mensch so intelligent ist und die richtigen Überlegungen und Schlußfolgerungen anstellt! Die Natur zwingt uns zur Angst und Aufmerksamkeit, damit wir überleben! Auch Dumme!
Die Funktion des Ohres und der Hörbahn kann nur auf einige wenige Arten gestört sein: entweder man hört ein vorhandenes Geräusch nicht oder man hört Geräusche, die gar nicht da sind! Den ersten Fall nennt man Schwerhörigkeit, den zweiten Fall nennt man Tinnitus. Da mit dem Ohr auch noch die Gleichgewichtsorgane im Schädel verbunden sind, gehört der Schwindel manchmal auch zu den Funktionsstörungen im Ohr.
Sie sehen also, dass Schwerhörigkeit und Tinnitus neben Schwindel die schlimmen Folgen einer – vielleicht auch kleinen – Funktionsstörung in den Sinnes- und Nervenzellen sind.