Hörgeräteversorgung

Copyright: Fotolia - Ingo BartussekIst eine Schwerhörigkeit weder medikamentös noch operativ zu lindern, dann hilft meistens eine Versorgung mit Hörgeräten. Viele Patienten reagieren auf diesen Behandlungsvorschlag erschrocken und fragen sich und uns: „Bin ich denn schon so alt, dass ich Hörgeräte benötige?“

Hörgeräte werden nicht verschrieben, weil man alt ist! Hörgeräte werden verschrieben, weil das Hörvermögen schlecht ist und man mit Hörgeräten besser hören kann! Es gibt auch Kinder mit Hörgeräten! Und es gibt alte Menschen ohne Hörgeräte.

Ich möchte etwas Verständnis wecken für die Hörgeräte! Lassen Sie sich von den Leistungen der Hörgeräte begeistern! Seien Sie diesen kleinen Wunderwerken gegenüber vorurteilsfrei eingestellt! Die moderne Hörtechnik hat es verdient!

 

 

Ton- und Sprachaudiogramm

Sehen wir uns ein typisches Audiogramm an. Die Werte des rechten Ohres sind rot, die des linken Ohres blau gekennzeichnet. In den oberen beiden Feldern ist das Tongehör abgebildet. Links im Bild werden die Ergebnisse der tiefen, rechts im Bild die der hohen Töne eingezeichnet. Die Hörverlustwerte nehmen von oben nach unten zu, erkennbar an den Zahlen, die unten größer sind als oben. Ein typischer Befund zeigt – so wie dieses Beispiel – einen Hochtonabfall beidseits.

Tonaudiogramm mit Hochtonsenke beidseits

Im Hochtonbereich sind die Konsonanten angesiedelt, die „Mitlaute“. Besonders die Zischlaute wie zum Beispiel „s“; „f“ und „sch“ sind hochfrequent. Und sie sind wichtig für das Verstehen von Sprache! Im Tieftonbereich liegen die Vokale. Die Laute „a“, „e“, „i“, „o“ und „u“ hören sich eher dumpf an. Sie vermitteln weniger den Inhalt der Sprache als vielmehr die Sprechlautstärke. Menschen mit einer Hochtonschwerhörigkeit hören ihre Gesprächspartner mit normaler Lautstärke. Deswegen denken die Patienten auch, dass sie gar nicht schwerhörig seien! Es hört sich „nur“ so an als wenn die Gesprächspartner alle „nuscheln“ würden. Dabei tun die das gar nicht! Hochtonschwerhörige hören Sprache mit normaler Lautstärke – nur undeutlich.

Sprachaudiogramm mit Verständniswerten für Mehrsilber (x) und Einsilber (o)

Im untern Teil des Diagramms kann man das sehen. Wieder sind die Werte des rechten Ohres rot und die des linken Ohres blau. Pro Ohr (pro Farbe) sind dabei zwei voneinander getrennte Linien aufgezeichnet. Die Linien mit den x-en werden mit mehrsilbigen Zahlwörtern gewonnen und die Linien mit den Kreisen (o) werden mit Einsilbern gemessen. Das wichtigste Kriterium für die Hörgeräteentscheidung ist das „Einsilberverstehen bei Zimmerlautstärke“. „Zimmerlautstärke“: das ist eine Lautstärke von 65 dB. Dort kann man an der Lage der Messlinie ablesen, wieviel Prozent der Einsilber richtig verstanden wurden. In diesem Beispiel beträgt das Einsilberverstehen bei 65 dB rechts 60 % und links 20 %. Lassen Sie sich nicht verwirren: Die Messwerte wurden bei 60 dB, bei 80 dB und bei 100 dB gewonnen. Die „Zwischenwerte“ bei 65 dB wurden nicht gemessen, sondern berechnet.

Hörgeräte sollte man bekommen – und natürlich auch annehmen! – wenn das Einsilberverstehen bei 65 dB beidseits nicht mehr als 80 % beträgt. Das ist in diesem Beispiel der Fall: 20 % ist nicht mehr als 80 % und 60 % ist auch nicht mehr als 80 %! Nun mag eine Entscheidungsgrenze von 80 % ziemlich hoch gegriffen zu sein. Man bekommt „scheinbar“ schon recht schnell, um nicht zu sagen „vorschnell“ Hörgeräte verschrieben. So ist das aber nicht! Die Messungen werden allesamt in einem schallarmen Prüfraum durchgeführt. Unsere akustische Umwelt ist aber gerade nicht schallarm! Da man den Hintergrundlärm nicht für die Messungen vereinheitlichen – „standardisieren“ – kann, hilft man sich, indem man im schallarmen Raum ohne Hintergrundgeräusche misst und dafür die Hörgerätegrenze entsprechend anpasst.

Wenn man nun Hörgeräte bekommt, dann müssen sie individuell eingestellt werden. An den oberen Linien erkennt man, dass das Hörvermögen im Tieftonbereich noch relativ gut, im Hochtonbereich aber relativ schlecht ist. In den Tonhöhen dazwischen ist das Hörvermögen mittelschlecht. Die Hörgeräte dürfen also gar nicht alle Töne gleichermaßen verstärken, sondern müssen auf die Tonhöhe reagieren! Tiefe Töne brauchen überhaupt nicht verstärkt zu werden, mittlere mittelstark und hohe stark. Dafür benötigen die Hörgeräte verschiedene Kanäle! Jeder Kanal ist für einen bestimmten Frequenzbereich zuständig und kann einen eigenen Verstärkungsfaktor bekommen. Die Anzahl der Kanäle ist abhängig von der Form der Hörkurven. Ist die Zahl der Kanäle zu gering, dann kann man die Hörgeräte nur grob einstellen – zu grob für einen Hörgewinn. Die richtige Anzahl der Kanäle zu finden und einzustellen, ist die Kunst des Hörgeräteakustikers!

Hörgeräte müssen aber noch mehr berücksichtigen! Patienten mit Innenohrschwerhörigkeit haben einen eingeschränkten Dynamikbereich! Leise Töne werden nicht gehört, aber laute Töne werden zu laut wahrgenommen – lauter als es Hörgesunde empfinden. Hörgeräte dürfen also – selbst bei ein und derselben Tonhöhe! – nicht alle Töne gleichermaßen verstärken! Die leisen Töne müssen mehr verstärkt werden, die ohnehin schon lauten Töne dürfen aber nicht mehr so stark verstärkt werden. Die Hörgeräte haben also noch Schaltungen, die das Ausgangssignal in Abhängigkeit vom Eingangssignal unterschiedlich stark verstärken!

Kleine Auswahl moderner Hörgeräte

Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Rückkopplungspfeifen. Verlässt das verstärkte Signal das Hörgerät, dann wird der Schall am Trommelfell reflektiert und in das Mikrofon des Hörgerätes zurück geworfen! Danach läuft das Signal ein 2. Mal, ein 3. Mal und immer so weiter durch das Hörgerät, wobei es sich zu einem unerträglichen Pfeifen aufschaukelt. Hier hilft wieder die Technik: Die modernen Hörgeräte haben alle eine digitale „Architektur“, so wie Computer.

Hörgerät: Starke Technik auf engstem Raum! – Leider ist dieses Hörgerät kaputt!

Digitale Hörgeräte kennen ihre Schwachstelle und rechnen das Pfeifen heraus. Musste man bei den alten Analoggeräten die Gehörgänge komplett verschließen, um das Rückkopplungspfeifen zu unterbinden, so dürfen die Gehörgänge heute offen bleiben! Die meisten Hörgeräte haben nur noch kleine, praktisch unsichtbare Schläuche, die mit Hilfe kleiner Plastik“körbchen“ im Gehörgang fixiert werden. Der Vorteil liegt klar auf der Hand: Der Klang ist völlig natürlich. Man hat kein Verschlussgefühl im Ohr. Man hört weder seine Kaugeräusche noch seinen Trittschall.

Wir leben in einer akustischen Umwelt. Dort gibt es nicht nur eine Schallquelle, sondern viele: Eines ist die Nutzschallquelle, der Rest sind Störschallquellen. Trägt man nur ein Hörgerät, dann kommen sowohl Nutz- als auch Störschall in dasselbe Ohr und das Gehirn muss beide voneinander trennen. Das ist schwer, oftmals unmöglich. Trägt man jedoch zwei Hörgeräte, dann hat man ein volles „Stereo“-Gefühl. Alle Schallquellen sind akustisch voneinander getrennt. Man kann Nutz- und Störschallquellen leicht voneinander unterscheiden! Mit zwei Hörgeräten hört man nicht bloß doppelt so gut wie mit einem! Nein, man hört 2000 mal so gut wie mit einem!

Da die Hörgeräte nur die Frequenzen anheben, die den Schwerhörigen fehlen (meistens also die hohen Töne), empfindet man beim Tragen der Hörgeräte nicht, dass sich alles lauter anhört. Es hört sich klarer an! Mit den hohen Tönen kehrt die „Brillanz“ zurück! Das ist aber etwas, an das man sich gewöhnen muss! Nicht nur die menschliche Sprache klingt anders – auch alle anderen Geräusche klingen anders! Es ist also nicht sinnvoll, die Hörgeräte zur in menschlicher Gesellschaft zu tragen! Auch, wenn man allein zu Haus ist, sollte man die Hörgeräte tragen. Wie sonst will man sich je daran gewöhnen?

Hörgeräte sollen die akustische Umwelt so naturgetreu wie möglich wiedergeben – man sagt auch „abbilden“. Nun kann folgendes passieren: Wenn ein Hörgesunder in eine Fabrik geht, dann sagt der Hörgesunde: „Mir ist es hier zu laut!“. Der Hörgeräteträger wird auf seine Hörgeräte schimpfen und behaupten, dass diese zu laut eingestellt seien! Und geht ein Hörgesunder in eine Bibliothek, dann sagt der Hörgesunde: „Mir ist es hier zu leise!“. Der Hörgeräteträger wird wiederum auf seine Hörgeräte schimpfen und behaupten, dass sie nun zu leise eingestellt seien! Beides stimmt nicht! Wenn man mit Hörgeräten in ein Sinfoniekonzert geht, dann muss man trotzdem die Pianissimo-, Piano-, Mezzoforte-, Forte- und Fortissimostellen voneinander unterscheiden können. Hörgeräte, die jede Lautstärke auf „mittel“ setzen, taugen nichts.

Wenn man so gewappnet zum Akustiker geht, sich beraten lässt und vorurteilsfrei die Hörgeräte anpassen lässt – immer mit gutem „Feed back“ über das Ergebnis -, dann kann man praktisch sicher sein, dass man mit den neuen Geräten zufrieden sein wird. Und wenn man dann zufrieden ist, dann versteckt man noch die kleinen Geräte hinter den Ohren und unter den Haaren und erzählt niemandem von der neuen Errungenschaft. Ist man aber nachlässig in der Anpassung, lustlos und allem und jedem negativ gegenüber eingestellt, dann bleibt das gute Ergebnis sehr wahrscheinlich aus. Diese Patienten werden später überall erzählen, dass Hörgeräte allesamt untauglich seinen! Treffen Sie also auf einen Menschen, der über seine Hörgeräte klagt, dann müssen Sie wissen, dass Sie dem Phänomen der „selektiven Wahrnehmung“ begegnet sind! Die unzufriedenen Hörgeräteträger machen ihre Kritik öffentlich, die zufriedenen Hörgeräteträger behalten ihr Lob für sich im Geheimen! Unzufriedene Hörgeräteträgerinnen gibt es nur wenige, zufriedene gibt es reichlich! Aber nur die wenigen Unzufriedenen lassen von sich hören!

Wären Ihnen die Hörgeräte aufgefallen?

Wären Ihnen die Hörgeräte aufgefallen?

Und jetzt wünschen wir Ihnen viel Erfolg bei der Anpassung Ihres modernen Hörsystems. Moderne Hörsysteme können übrigens noch viel mehr als ich hier dargestellt habe. Ich habe Ihnen ohnehin schon einen sehr langen Text zugemutet. Wenn Sie noch mehr wissen möchten, dann fragen Sie uns oder Ihren Hörgeräteakustiker! Wir stehen Ihnen zur Verfügung!