Lärmschwerhörigkeit und Lärmschutz

Unsere Ohren sind lärmempfindlich. Die zarten Innenohren vertragen nur eine bestimmte Menge an Schallenergie. Wird die Schallenergie zu groß – der Lärm zu laut – dann werden die winzigen Haarzellen im Innenohr geschädigt.

Drei Reihen äußere Haarzellen (I bis III), eine Reihe innere Haarzellen (oben im Bild)

Die Haarzellen heißen „Haarzellen“, weil sie kleine Härchen haben. Schall bringt die Härchen in Bewegung. Diese Bewegung wird über den Hörnerv zum Gehirn geleitet; das Gehirn und sein Mensch hören dann einen Ton, einen Klang, ein Geräusch – oder eben Lärm.

Die Haarzellen wandeln akustische Energie (= Schall) in elektrische Energie um. Haarzellen besitzen deshalb kleine Energiespeicher: kleine Akkus.

Blutgefäße der Hörschnecke

Neue Energie fließt über das Blutgefäßsystem nach. Andererseits fließt Energie über die Hörnerven zum Gehirn ab, wenn der Schall kommt. Kommt zu viel Schall, dann fließt zu viel Energie zum Gehirn ab und der Akku der Haarzelle entleert sich. Eine Haarzelle mit leerem Akku ist „stumm“ und arbeitet nicht mehr. Normalerweise füllt sich der Akku langsam wieder auf und die Haarzelle fängt wieder an zu arbeiten. In der Zwischenzeit hört der Mensch nicht mehr viel! Er erlebt eine „Vertäubung“. Die meisten Vertäubungen sind vorübergehender Natur:“ TTS“ steht für „temporary threshhold shift“ – also „vorübergehende Schwellenabwanderung“. Aber wehe, wenn der Lärm zu laut war! Dann erholt sich die Haarzelle nicht mehr, stirbt ab und der Schaden ist irreparabel! „PTS“ steht für „permanent threshhold shift“ – also „permanente Schwellenabwanderung“. Das ist die Lärmschwerhörigkeit oder – im Falle eines plötzlichen Knalls – das Knalltrauma!

Es gibt Unterschiede zwischen „Chronischer Lärmschwerhörigkeit“, „Explosionstrauma“ und „Knalltrauma“. Der Unterschied liegt in der Einwirkdauer, der Expositionszeit. Bei einer chronischen Lärmschwerhörigkeit liegt über einen langen Zeitraum ein hoher – zu hoher! – Lärmpegel vor. Bei einem Explosionstrauma ist der Lärmpegel sehr viel höher, allerdings ist die Dauer sehr viel kürzer! Es handelt sich um einen „Impulslärm“. Bei einem Explosionstrauma dauert die schädigende Einwirkung aber dennoch länger als 3 Millisekunden (> 0,003 s). Das ist zumindest so lange, dass das Trommelfell Zeit genug hat, um zu zerreißen. Ein Loch im Trommelfell transportiert aber den Schall nicht so gut. Das Innenohr ist durch das Loch im Trommelfell geringgradig vor dem starken Lärm geschützt. Zwar ist das Trommelfell dann zerrissen, das Innenohr kann sich möglicherweise aber später wieder erholen. Und Trommelfelllöcher wachsen auch meistens wieder zu.

Auch bei einem Knalltrauma handelt es sich um „Impulslärm“! Der Pegel ist hoch, die Expositionszeit kurz. Bei einem Knalltrauma dauert die schädigende Einwirkung aber nicht mal 3 Millisekunden (< 0,003 s). Das Trommelfell hat keine Zeit zu zerreißen und leitet den Schall komplett zum Innenohr weiter. Das Innenohr hat dann das Nachsehen…

Eine zu große Lärmmenge schädigt das Innenohr! Dabei ist es unerheblich, ob der Pegel hoch und die Zeit kurz ist (Impulslärm) oder der Pegel niedriger und die Zeit länger ist (chronische Lärmschwerhörigkeit). Die Einwirkdauer misst man – ich berichte nichts Neues – in den üblichen Zeiteinheiten (Jahre, Monate, Wochen, Tage, Stunden, Minuten, Sekunden). Der Lärmpegel wird in „Dezibel“ gemessen, abgekürzt „dB“.

Zunehmender Lärm: Dramatische Abnahme der Expositionszeit bis zur Schädigung

So! Und jetzt kommt’s: Das Dezibel ist ein logarithmisches Maß! Jedes Mal, wenn sich die Schallenergie verdoppelt, wird der dB-Wert größer. Aber der dB-Wert selbst verdoppelt sich nicht! Er nimmt jedes Mal nur um 3 zu!

Die Reihe: / 90 dB / 93 dB / 96 dB / 99 dB / 102 dB / 105 dB / 108 dB / 111 dB / 114 dB / 117 dB / sieht harmlos aus.

Die zugehörige Zeit bis zum Eintreten eines Schaden zeigt die volle Dramatik: 8 Std. / 4 Std. / 2 Std. / 1 Std. / 30 Min. / 15 Min. / 7 Min. 30 Sek. / 3 Min. 45 Sek. / 1 Min. 52 Sek. / 56 Sek.!

In einer Diskothek mit 117 dB kann man nach 56 Sekunden lärmschwerhörig werden! Und Böllerschüsse haben noch viel höhere Lautstärken. Alles klar?

Andererseits kann man mit Lärmschutz viel bewirken! Angenommen, man wäre einem Lärmpegel von 117 dB ausgesetzt und würde Lärmschutz mit einer Dämmwirkung von 21 dB tragen. Einundzwanzig Dezibel: das sind 7 Stufen zu je 3 dB. Gehen wir in der oberen Reihe ausgehend von 117 dB um 7 Stufen nach links zurück, dann landen wir bei 96 dB. Wandern wir in der unteren Reihe ausgehend von 56 Sekunden um 7 Stufen nach links zurück, dann erreichen wir eine Einwirkdauer von 2 Stunden! Lärmschutz von nur 21 dB verlängert die erlaubte Lärmeinwirkungszeit um den Faktor 128 (2 hoch 7)!

Lärmschutz ist also extrem wichtig!

Was sollen wir einem Lärmarbeiter raten, der in seiner achtstündigen Schicht einem Lärmpegel von z. B. 111 dB ausgesetzt ist und seinen Lärmschutz 5 Minuten vor Dienstschluss schon mal zur Seite legt! Weil 5 Minuten – bezogen auf  8 Stunden Schicht – ja „wenig“ ist? Der Ratschlag ist klar: Bloß nicht! Wenn man seine ungeschützen Ohren einem Lärmpegel von 111 dB aussetzt, dann reichen – siehe oben – bereits 3 Minuten und 45 Sekunden aus, um sich dem hohen Risiko einer chronischen Lärmschwerhörigkeit auszusetzen. Bei 111 dB sind 5 Minuten ohne Lärmschutz also nicht „kurz“, sondern „wahnsinnig lang“! Ob die Expositionszeit kurz oder lang ist, hängt nicht von meinem Arbeitsvertrag ab (wo meine Schichtdauer festgelegt ist), sondern vom Lärmpegel!